Oft frage ich die Kinder in der Sonntagsschule: „Erzählt mir über eure Väter. Was mögt ihr an ihnen besonders?“
Natürlich freuen sich viele von uns über bezaubernde Antworten wie: „Mein Daddy ist Superman, weil er immer da ist, wenn ich ihn brauche“ oder: „Mein Vater spielt immer mit mir und sagt mir, dass er mich liebt“.
Selbst ganz gewöhnliche Väter haben einen unglaublichen Einfluss auf die Welt eines Kindes und tragen besondere Kräfte in sich, ein Kind zu erheitern, Wehwehchen zu heilen und die Monster der Nacht zu vertreiben.
Im Laufe der Jahre haben sich meine Antworten immer wieder geändert, doch in den letzten Jahren habe ich meine eigentliche Antwort gefunden. Bei vielen Menschen ruft sie Stirnrunzeln hervor: „Ich liebe an meinem Vater, dass er oft keine Ahnung davon hat, was er tut.“
Der hawaiianische Lifestyle
Mein Vater wuchs an der Nordküste von Hawaii in Laie auf. Als Vorletzter in einer achtköpfigen Familie wurde er zum offiziellen Dienstmädchen des Hauses ernannt und kümmerte sich um fast alles.
Wenn er einmal nicht im Garten arbeitete, fand man ihn meist auf dem Fußballplatz oder am Strand. Vermutlich war er deshalb in der Schule nicht so gut. Hinzu kommt, dass sein „Englisch” auch nicht direkt Englisch war.
Also im Ernst, Pidgin-Englisch ist so eine Sache…
Er zog von den Inseln ans Festland und studierte am und spielte für das Snow College, aber seine Noten und seine Arbeitsmoral brachten ihm einen Semesterdurchschnitt ein, den ich nicht für möglich gehalten hätte. Na gut – so ist er eben, mein Vater.
Bald darauf lernte er meine Mutter an einer Tankstelle kennen. Er bat dreimal um ihre Nummer…. und sie hatte keine Ahnung, was er wollte. Pidgin-Englisch ist nicht immer leicht zu verstehen.
Aber sie gingen einmal miteinander aus und noch ein paar Mal, und nach einer Woche bat mein Vater meine Mutter um ihre Hand.
Sie lachte und fragte: „Shawn, wen liebst du mehr, mich oder Christus?“
Er sah sie an, kicherte und sagte: „Dich natürlich. Ihn kenne ich nicht. Er kann mich auch nicht in den Arm nehmen, wenn ich traurig bin.“
Meine Mutter, die sich mit 12 Jahren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage angeschlossen hatte und frisch von einer Mission in Chile zurückgekehrt war, hätte ihn mit Blick auf seine Noten, seine Arbeitslosigkeit und die fehlende religiöse Überzeugung leicht abblitzen lassen können. Aber sie tat es nicht.
(Meine Schwester und ich fragen uns immer noch, warum.)
Willkommen in der Elternschaft
„Du musst auch auf eine Mission gehen. Du musst zuerst Gott lieben.“
Mein Vater nahm die Forderung meiner Mutter an. So wurde er auf Mission nach Salt Lake City, Utah, berufen. Er machte sich auf und widmete diesem Dienst die nächsten zwei Jahre. Und dabei lernte er, Gott zu lieben.
Sechs Monate nach seiner Rückkehr, am 5. August 1994, wurden meine Eltern im Los-Angeles- Tempel gesiegelt.
Aber die Reise hatte erst begonnen.
Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit wurde ich geboren. Innerhalb von 12 Jahren folgten 4 weitere Kinder. Und lasst mich euch sagen, es war ein holpriger Ritt!
Ihr kennt sicher das übliche Muster: lange Nächte voller Erbrochenem und anderer Ausscheidungen, tagelange Hormonschwankungen und Geschwisterkriege, morgendliche Ausraster wegen vergessener Schulprojekte, Zusammenbrüche am Sonntag, wenn die Kleidung nicht passt oder einfach nicht gut aussieht. Das ist es, was eine Familie ausmacht. Oder zumindest meine Familie.
Aber für den 20-jährigen Jungen aus Laie ohne Ausbildung, ohne Job und mit einem gerade erst erworbenen Zeugnis, stelle ich mir vor, musste eine solche Meisterleistung beängstigend sein. (Das heißt natürlich, wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommt.)
In all den Jahren der Tränen und Wutanfälle von uns Kindern hätte er leicht mit barschem Ton, wie er ihn beim Fußballspiel an den Tag legte, sagen können, wir sollen „nicht so rumheulen“ oder „es einfach vergessen“.
Er hätte leicht sagen können: „Ich weiß, was zu tun ist, und genau so wird es auch gemacht. Entweder mein Weg oder keiner.“
Er hätte auch genauso leicht sagen können: „Ich habe nicht darum gebeten.“ Er hätte weggehen, sich ein Fußballspiel ansehen und sich entspannen können.
Aber er tat es nicht.
Eine neue Perspektive auf Väter
Mit 12 war ich Mitglied eines Gymnastikteams, das ich innig liebte. Aber ich fühlte mich auch unbeholfen und ungeschickt, wie viele 12-Jährige.
Meine Mutter fuhr mich oft zum Training, aber heute beschloss mein Vater, mich zu fahren. Die Fahrweise meiner Eltern ist völlig unterschiedlich. Mutter ist immer pünktlich, und wenn es mal aussieht, als würden wir zu spät kommen, dann fährt sie so, dass wir pünktlich sind, egal was passiert.
Mein Vater hingegen lässt sich gerne Zeit. „Inselzeit” nennt er das. Es ist brutal.
Als mein Vater fuhr, fuhr er ganz gemütlich. Ich hörte zu, wie die Uhr tickte. Zu spät. 2 Minuten zu spät. 5 Minuten zu spät. 10 Minuten zu spät.
Ich wurde mit jeder Minute wütender. Und schließlich, als wir auf den Parkplatz fuhren, drehte ich mich zu ihm um und schrie: „Ich hasse dich! Wir sind immer zu spät und das ist so peinlich! Ich wünschte, ich müsste heute nicht zum Training gehen!“
Ich stieg aus dem Auto, aber plötzlich brach ich in Tränen aus und sank vor der Tür auf den Boden, überwältigt und erschöpft. Mein Vater bewegte sich langsam vom Fahrersitz, hob mich auf und brachte mich zurück ins Auto. Er wischte liebevoll meine Tränen weg und hielt dann mein Gesicht so, dass ich in seins sah.
Dann sagte er etwas Überraschendes.
„Kay, es tut mir leid. Normalerweise bist du nicht so. Und deine Mutter hat gesagt, dass deine Hormone vielleicht verrückt spielen. Ich weiß nicht, was ich tun oder wie ich helfen soll.“
Als normales 12-jähriges Mädchen fühlte ich mich unwohl, als er Hormone erwähnte, aber ich war auch überrascht. Wie konnte mein Vater, der allweise, allgegenwärtige, allwissende Vater in meinem Haus, NICHT wissen, was er tat?
Ahnungslos und selbstbewusst
Je älter ich wurde, desto mehr Schwächen meines Vaters entdeckte ich. Ich sehe jetzt den jungen, ungebildeten Mann von Laie und ich lache. Das ist nicht der Superheld-Vater meiner Kindheit.
Aber genau wie an diesem Tag gab es in meinem Leben unzählige Momente, in denen er zugab, dass er es nicht versteht, und gemeinsam versuchen wir, ein erfolgreiches Leben zu gestalten.
Diese Erlebnisse führten mich dazu, meinen Vater zu ehren.
Nicht, weil er perfekt ist. Oder weil er immer die richtige Antwort hat. Aber weil er sie nicht hat und mir beigebracht hat, dass das in Ordnung ist.
Meinen Vater auf dem Boden knien zu sehen und um Verständnis und Weisheit von Gott zu bitten, aufzustehen und zu fragen: „Wie können wir das zusammen hinbekommen?“ – das war eine Lektion, die ich für immer schätzen werde.
In einer Welt voller lauter Stimmen die behaupten, dass Stärke nur in Wissen und Erfolg zu finden sei, habe ich festgestellt, dass einige der stärksten Eigenschaften meines Vaters diejenigen sind, bei denen er offen zugegeben hat, dass er schwach ist. Ich habe festgestellt, dass ich ihn am meisten respektiere, wenn er bescheiden und sanftmütig ist. Väter sind auch nur ganz normale Menschen.
Demütig genug, um sich oft an Gott zu wenden und sich auf seinen Rat zu verlassen und sanftmütig genug, wie von David A. Bednar beschrieben, um eine gewisse spirituelle Empfänglichkeit zu haben, „von Menschen zu lernen, die weniger kompetent, erfahren oder gebildet scheinen, die vielleicht keine wichtige Position innehaben oder die anderweitig den Eindruck machen, dass sie nicht viel beizusteuern haben.“
Von jemandem wie einem törichten, jungen, 12-jährigen Mädchen, das fast nichts über Leben und Hormone wusste. (Um ehrlich zu sein, hat sich seitdem nicht viel verändert.)
Dieser Artikel wird diejenigen, die meinen Vater kennen und ihn getroffen haben, sicher zum Lachen bringen. Denn, um ehrlich zu sein, hat er weit mehr erreicht als viele andere Männer um ihn herum. Vor einigen Jahren schloss er seine Promotion in 3 Jahren ab und wurde kürzlich in seinem Job befördert. Aber was er mir beigebracht hat, ist, dass nichts davon wirklich wichtig ist.
Denn letztendlich sind wir alle ahnungslos und verloren in diesem Leben.
Mein Vater hat mir also gezeigt wie wichtig es ist, Gott vor allem und jedem anderen zu lieben. Er hat mir gezeigt, dass wenn wir uns entscheiden, unser Vertrauen in den ewigen Vater zu setzen, der glücklicherweise alles weiß, er uns alle, seine Kinder, aufgrund seiner Barmherzigkeit lehren wird, dass es okay ist, ahnungslos zu sein. Auch eure Väter kennen nicht immer alle Antworten. Ich hoffe ihr liebt sie trotzdem.
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt. Er wurde ursprünglich auf mormonhub.com unter dem Titel „The Story of My Clueless Dad (And Why I Love Him)” veröffentlicht. Die Autorin ist Kayla Tanuvasa. Übersetzt von Janine Windhausen.