In den Schriften finden wir nicht viel darüber, wie das Leben Jesu in der Zeit zwischen seiner Geburt und seinem 13. Lebensjahr aussah und auch nicht über die Zeit zwischen dem 13. Lebensjahr und seinem offiziellen Wirken im Alter von 30 Jahren. Wie sah das Leben des Erlösers in den Jahren des Erwachsenwerdens aus?

Lukas berichtet: „Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen” (Lukas 2:52). Wir können also davon ausgehen, dass er im Laufe der Jahre geistig reifte – also an Intellekt und Verständnis zunahm. Seine körperliche Kraft nahm zu, was zweifelsohne daran lag, dass er als Sohn eines Zimmermanns tagtäglich schwere körperliche Arbeiten verrichtete. Er entwickelte sich geistig und formte eine starke Verbindung zu einem heiligen Wesen, seinem wahren Vater. Er entwickelte sich in sozialer Hinsicht und wahr wahrscheinlich sympathisch, glücklich, eventuell humorvoll und vertrug sich gut mit seinen Freunden.

Ereignis aus dem Leben Jesu - Jesus arbeitet mit seinem Vater Josef dem Zimmermann

Auf der anderen Seite war das Leben Jesu und die Jahre der Vorbereitung auf seine spätere Aufgabe sicherlich auch ungewöhnlich. Wir wissen nichts über seine Beziehung zu seinen Brüdern und Schwestern außer die Namen seiner Brüder – Jakobus, Josef, Simon und Juda. Wir wissen jedoch, dass als Jesus sein Wirken begann, „auch seine Brüder … nicht an ihn [glaubten]” (Johannes 7:5) und dass Angehörige sagten, „er [sei] von Sinnen” (Markus 3:21).

Von Gnade zu Gnade

Aus neuzeitlichen Offenbarungen lernen wir, dass „er zuerst nicht von der Fülle [der Herrlichkeit und Macht Gottes] empfing, sondern Gnade um Gnade” (LuB 93:12), „bis er [in der Auferstehung] eine Fülle empfing” (V.13). „Und so wurde er der Sohn Gottes genannt, weil er zuerst nicht von der Fülle empfing” (V.14).

Gnade um Gnade zu empfangen spricht für einen Entwicklungsprozess im Leben Jesu; ein Fortschreiten von einer Ebene geistiger Errungenschaften zur nächsten.

James E. Talmage spricht über das Wachstum des Herrn und schreibt:

„Seine Jugend war die eines Jungen, seine Entwicklung war so notwendig und real wie bei allen Kindern. Über seinen Verstand hatte sich ein Schleier des Vergessens gelegt, wie bei allen, die auf die Erde geboren werden; dadurch wird die Erinnerung an eine frühere Existenz blockiert. Das Kind wuchs heran, und mit diesem Wachstum erweiterten sich sein Verstand, seine Fähigkeiten, seine Macht und sein Verständnis. Seine Entwicklung war von Gnade zu Gnade und nicht von Gnadenlosigkeit zu Gnade; von gut zu besser, nicht von schlecht zu gut; von Gottgefallen zu größerem Gefallen, nicht von Entfremdung, die durch Sünde kam, zu Versöhnung durch Umkehr und Sühne” (Jesus the Christ, 111–12).

Etwas besonders Schönes über das Leben Jesu erfahren wir aus Matthäus. Dort heißt es über Jesu Kindheit und Jugend: „Und es begab sich, daß Jesus mit seinen Brüdern aufwuchs und stark wurde und auf den Herrn wartete, auf daß die Zeit seines geistlichen Wirkens komme. Und er diente unter seinem Vater, und er sprach nicht wie andere Menschen, auch konnte man ihn nicht lehren; denn er brauchte keine Belehrung von irgendeinem Menschen. Und nach vielen Jahren nahte die Stunde seines geistlichen Wirkens” (Joseph-Smith-Übersetzung Matthäus 3:24–26, vgl. Einheitsübersetzung Matthäus 2:23).

Ereignis aus dem Leben Jesu - Jesus heilt einen Lahmen

Jesus lernte nicht etwa nichts von seiner Mutter und seinem Stiefvater Josef oder den Rabbis in der Synagoge; er lernte sicherlich vieles. Es gibt jedoch auch Dinge, die kein Sterblicher lehren kann, eine göttliche Weisheit, die nur aus dem Himmel kommen kann, nur durch Gott, den ewigen Vater, durch die Macht seines Heiligen Geistes (vgl. 1. Johannes 2:27).

Ein Mann, aber noch so viel mehr

Das Leben Jesu Christi war geprägt von seinem doppelten Erbe. Er war der Sohn von Maria. Von ihr erbte er Sterblichkeit, das Fleisch, die Fähigkeit zu sterben. Jesus musste sterblich sein, um die Herausforderungen des Menschseins verstehen und nachvollziehen zu können. Er ging aus in eine gefallene Welt. Er erfuhr Tag für Tag Schmerz, Bedrängnis, Versuchung, Gebrechen und Schwäche, „auf daß sein Inneres von Barmherzigkeit erfüllt sei gemäß dem Fleische, damit er gemäß dem Fleische wisse, wie er seinem Volk beistehen könne gemäß dessen Schwächen” (Alma 7:12).

Der Nazoräer war aber auch der Sohn Gottes, des Allmächtigen Elohim. Von diesem erbte er Unsterblichkeit, die Fähigkeit und Macht, ewig zu leben. Dies war notwendig. Ein Engel sagte zu König Benjamin über die Herablassung Jehovas: „Und siehe, er wird Versuchungen erleiden und körperliche Pein, Hunger, Durst und Erschöpfung, selbst mehr, als ein Mensch ertragen kann, ohne daran zu sterben” (Mosia 3:7). Und König Benjamin prophezeite: „Und siehe, er kommt zu den Seinen, damit den Menschenkindern Errettung zuteil werde, ja, durch Glauben an seinen Namen; aber selbst nach all dem werden sie ihn für einen Menschen halten und sagen, er habe einen Teufel, und werden ihn geißeln und werden ihn kreuzigen” (V.9).

Amulek hob hervor, dass das Opfer des Messias unbegrenzt und ewig ist. Er sagte: „Nun gibt es keinen Menschen, der sein eigenes Blut opfern könnte, so daß es für die Sünden eines anderen sühne. Wenn nun ein Mensch einen Mord begeht—siehe, nimmt dann unser Gesetz, welches gerecht ist, seinem Bruder das Leben? Ich sage euch: Nein” (Alma 34:11).

Das Leben Jesu war das eines Mannes. Jesus von Nazaret war ein Mann – und doch so viel mehr. Wäre er nicht unsterblich gewesen, hätte er Getsemani und Golgota nicht ertragen können. Er hätte nicht die Macht gehabt, Sünden zu vergeben und einen Wandel in denjenigen zu bewirken, die voller Glauben zu ihm kamen. Er hätte nicht die Macht gehabt, von Tod zu ewigem Leben aufzuerstehen.

Das Leben Jesu war nicht ohne Versuchungen. Er wurde versucht. Es war möglich, dass er sündigte. Der Sohn Gottes wurde nicht vor dem Spott, den Angriffen und Versuchungen des Vaters aller Lügen bewahrt; Jesus erfuhr am eigenen Leib, dass Luzifer, wie Joseph Smith beschreibt, ein „wirkliches Wesen aus der Welt des Unsichtbaren” war, „das eine so unglaubliche Macht hatte, wie [dieser] sie nie zuvor bei irgendeinem Wesen verspürt hatte” (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:16). Manch einer mag behaupten, dass das Zusammentreffen des Erlösers nach seiner Taufe mit Luzifer in der judäischen Wüste, das einzige war (vgl. Matthäus 4:1–11; Lukas 4:1–13). Das war es sicherlich nicht.

Lukas gibt uns darüber Klarheit: „Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab” (Lukas 4:13).

Jesus wurde „in allem wie wir in Versuchung geführt”, aber sündigte nicht (Hebräer 4:15). „Denn da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden” (Hebräer 2:18). Weil er die Herausforderungen der Sterblichkeit erlebt hat, ist „Jesus Christus, [unser] Fürsprecher, der die Schwäche des Menschen kennt und denen beizustehen weiß, die versucht werden” (LuB 62:1).

Ereignis aus dem Leben Jesu - Jesus betet in Getsemani

Über Jesus können wir sagen, was wir über niemanden, der jemals auf der Erde gelebt hat und leben wird, sagen können: Er war vollständig unschuldig, er hat nie Rückschritt gemacht. Im Leben Jesu gabe es keine moralischen Umwege, nie beging er eine Sünde. In einer Rede vor Studenten der Brigham-Young-Universität sagte Bruce R. McConkie: „Um im Reich Gottes errettet zu werden, müssen wir vollkommen werden. Aber nur Jesus, unserem Herrn, gelang dies, und er hatte einen Vorteil, den keiner von uns hat. Er war der Sohn Gottes und begann dieses Leben mit geistigen Fähigkeiten, Talenten und einem Erbe, das so viel mehr ist als das, womit wir alle geboren wurden, dass es all unsere Vorstellungskraft übersteigt” (1976 Devotional Speeches of the Year, Provo; Brigham Young University Press, 1977, pp. 399–400).

Das Leben Jesu war nicht viel anders als unseres. Jesus war auf vielerlei Weise wie wir. Aber er verfügte über angeborene Fähigkeiten, göttliche und himmlische Eigenschaften, über die kein anderes sterbliches Wesen verfügt.

Das Leben Jesu – ein Leben auf celestialer Ebene

Wenn ich in einem Unterricht darüber spreche, dass Jesus Christus andere Vollmacht und Fähigkeiten als wir hatte, höre ich manchmal: „Moment mal. Das ist nicht gerecht. Es ist unfair, dass der Erretter größere Fähigkeiten während seines Erdenlebens hatte als ich.”

Meine Antwort darauf lautet immer: „Glaubst du das wirklich? Möchtest du wirklich, dass Jesus und du gleich seid und er in nichts überlegen ist?” Meistens denkt der Fragesteller dann kurz über seinen Kommentar nach und räumt ein, dass er mit einem Erlöser, der größer ist als er, einverstanden ist.

C.S. Lewis sagte: „Wenn ich in einem schnell fließenden Fluss am Ertrinken bin, kann ein Mann, der noch mit einem Bein am Ufer steht, mir eine Hand reichen, die mein Leben retten wird. Sollte ich da (während ich um Luft ringe) ihm zurufen ‚Nein, es ist nicht fair! Du bist eindeutig im Vorteil! Du stehst mit einem Bein immer noch am Ufer.’ Dieser Vorteil – ihr könnt ihn ungerecht nennen – ist der einzige Grund, weshalb er uns von Nutzen sein kann. Wen ersuchst du um Hilfe, wenn nicht jemanden, der stärker als du selbst ist?”

Der Erlöser ließ sich dazu herab, auf die Erde zu kommen, einen physischen Körper anzunehmen und sich den Schmerzen, Versuchungen und Prüfungen dieses zweiten Standes zu unterwerfen, damit er wie wir sei, um zu wissen, wie es sich anfühlt, menschlich zu sein, um am eigenen Leib die Herausforderungen und Freuden, die Lasten und Segnungen des Erdenlebens zu erfahren. Und doch ist er so anders als wir; und dieser Unterschied, dieser göttliche Vorteil, befähigt Jesus Christus, uns seine Hand zu reichen: er kann uns bei der Hand nehmen und uns auf eine celestiale Ebene heben.


Robert L. Millet

Robert L. Millet (* 30.12.1947) arbeitet als Professor für altertümliche Heilige Schrift. Er ist Dekan für Religionspädagogik an der Brigham-Young-Universität in Provo, Utah. Millet ist Autor von über 60 Büchern über den Mormonismus. Er gilt als einer der führenden Wissenschaftler zur Joseph-Smith-Übersetzung der Bibel.

Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt. Er wurde ursprünglich am 26.3.18  auf ldsliving.com unter dem Titel „What We Know About Jesus’s Siblings, Childhood, and Growth into Manhood” veröffentlicht. Der Autor ist Robert L. Millet. Übersetzt von Kristina Vogt.

Wenn Sie mehr über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) wissen möchten, dann besuchen Sie einfach eine der offiziellen Webseiten der Kirche: mormon.org und lds.org.

German ©2018 LDS Living, A Division of Deseret Book Company | English ©2018 LDS Living, A Division of Deseret Book Company

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