„Früher war alles einfacher“ – zumindest bei der Jobsuche. Stimmt’s? Da kam irgendwann mal der Großgrundbesitzer, Verwalter oder, um es mit den Worten der Schrift auszudrücken, der „Herr des Weingartens“ vorbei, sagte, dass er Arbeiter brauche und los ging’s aufs Feld. Abends bekam man seinen Lohn bar auf die Hand und kümmerte sich nicht um Sozialversicherungsbeiträge oder die steuerliche Anrechnung der doppelten Haushaltsführung. Doch damals wie heute gab und gibt es eine Frage, welche für die erfolgreiche Suche nach einer Anstellung von entscheidender Bedeutung ist: Wie mache ich mich als Arbeitnehmer für meinen Arbeitgeber attraktiv? Suchen wir die Antwort auf diese Frage etwas später.
In Matthäus 20:1-16 lesen wir von solch einem Einstellungsprozess aus der Perspektive des neutralen Erzählers. Die Verse beschreiben das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.
Soweit uns bekannt ist, wurden Männer gesucht, die alle die gleiche Arbeit verrichten sollten. Für mich als Kind und Jugendlicher war dies ein „ungerechtes Gleichnis”. Um sechs, um neun, um zwölf, um fünfzehn Uhr und dann noch zur 11. Stunde, also um siebzehn Uhr, wurden Leute eingestellt. Übrigens wurde kein Lohn vereinbart, sondern lediglich das Versprechen, der Herr werde „geben, was recht ist“. Am Ende erhalten alle den gleichen Lohn. Wie bitte? Den gleichen Lohn? Was für eine schreiende Ungerechtigkeit! Wo ist hier die Gewerkschaft, der Tarifvertrag, mein Fachanwalt für Arbeitsrecht? Wer waren denn die faulen Leute, die bis am Nachmittag rumgehangen haben, um dann um fünf doch noch ein bisschen zu arbeiten? Und wieso waren die überhaupt noch nicht ausgewählt worden? Sicherlich waren es nicht gerade die Überflieger, die High-Performer, die da am Mittag und Nachmittag noch am Marktplatz saßen und immer noch nicht arbeiten mussten. Und trotzdem erhalten alle am Abend den gleichen Lohn…
Schauen wir uns das doch einmal zusammen aus einem anderen Blickwinkel an und stellen uns ein Beispiel bildhaft vor. Vor unserem geistigen Auge sehen wir eine Gruppe Menschen morgens um elf auf dem Marktplatz. Der Ochsenkarren kommt mit dem Herrn des Weinbergs. Der stellt Männer für die Arbeit ein: „Du, du und du.”
Aus Sicht der Arbeiter, die schon seit sechs Uhr arbeiten, scheint das unfair. Sie alle leben das mosaische Gesetz, in welchem alles sehr genau geregelt ist.(Denken wir nur mal an die Anzahl der „genehmigten Schritte” am Sabbat.) Betrachten wir die Situation jetzt aus Sicht derjenigen, die bisher vergeblich auf Arbeit gewartet haben. Sie leben in Ungewissheit darüber, ob sie heute Geld nach Hause bringen werden, das die Familie dringend braucht, oder auch diesmal wieder nicht. Hinzu kommt das belastende Gefühl, nicht gebraucht oder abgelehnt zu werden. Die Freude ist sicherlich groß, als man dann doch noch am Mittag, Nachmittag oder gar am Spätnachmittag eingestellt wird.
Der Lohn am Ende ist für alle gleich. Die eigentliche Frage ist nicht, ob das unfair ist, denn jeder hat den Lohn erhalten, zu dem er bereit war zu arbeiten, sondern vielmehr, zu welcher Gruppe ich wohl am liebsten gehört hätte: zu der, die morgens schon an der Arbeit war oder zu der andern, die bis am Spätnachmittag auf dem Marktplatz ausgeharrt, gewartet und gebangt hat. Vielleicht erinnern wir uns noch an die Situation auf dem Fußballplatz nach der Schule, als wir bei der Zusammenstellung der Mannschaften als Letzter gewählt wurden. Oder daran, wie schlecht wir uns gefühlt haben, als uns im Sportunterricht beim Volleyball keiner in seiner Mannschaft haben wollte. Welche Güte lässt der Herr des Weingartens doch denen zuteil werden, die später kamen, die länger gewartet und länger ausgeharrt haben.
Vergleichen wir dieses Gleichnis mit dem Evangelium und unserem Leben. Als Jugendlicher war ich oft dabei, wenn sich ältere Neubekehrte taufen ließen. Dabei dachte ich manchmal: ‚Schön, wenn man erst mit 80 das Evangelium kennen lernt, sich taufen lässt und dann ohne grosse Übertretungen stirbt. Die haben alles richtig gemacht.’ Aber heute denke ich anders darüber: Die Freude des Evangeliums haben diejenigen, welche spät zum Glauben kamen, kein „ganzes Leben lang” genießen dürfen. Was hätte ich alles verpasst?
- Den Schutz z.B. meiner Gesundheit durch das Halten der Gebote
- eine Erziehung im Evangelium
- Erwerb von Selbstvertrauen durch Ansprachen als junger Mann vor der ganzen Gemeinde und den Mut, anders zu sein und dazu zu stehen
- die schönen Erinnerungen an Anlässe der Primarvereinigung (Organisation für Kinder), an Jugendtagungen und Jugendlager
- den Geist, den ich in zahlreichen Versammlungen, bei Familienabenden, bei Generalkonferenzen und beim Studium der Schriften bis heute verspürte
- meine Zeit als Missionar
- in jungen Jahren eine ewige Ehe im Tempel geschlossen zu haben
- Antworten auf die Fragen, was vor dem Leben geschah und was nach diesem Leben geschieht, die mich schon mein ganzes Leben lang begleiten
Wie dankbar bin ich dafür, dass ich bereits am Morgen im Weinberg arbeiten durfte. Wie wunderbar zeigt dieses Beispiel die Güte und Liebe, das Mitgefühl und die Barmherzigkeit, welche der Herrn des Weingartens für uns hat.
Manche von uns werden im Beruf rein nach Arbeitszeit oder nach produzierter Menge oder verkauften Stückzahlen bezahlt. Je härter und länger wir arbeiten, desto mehr Lohn erwarten wir. Aber im Himmel gilt nicht das System der Akkordarbeit. Wenn wir getauft oder zum Priestertum ordiniert werden oder an den heiligen Handlungen des Tempels teilnehmen, versprechen wir, Gott zu gehorchen, seine Gebote zu halten und unsere Berufungen groß zu machen.
Der Vater im Himmel kennt uns und wird uns geben, was „recht” ist. Ich hoffe, das macht uns keine Sorgen.
Der Herr verheißt seinerseits, dass wir, wenn wir glaubenstreu sind, alles erlangen, „was [der] Vater hat“ (LuB 84:38), nämlich Erhöhung im celestialen Reich Gottes (siehe LuB 84:33-41). Es gibt keinen größeren Lohn, den der Herr uns bieten kann; diese ist die größte aller seiner Gaben (siehe LuB 14:7).
Denen, die sich auf das celestiale Reich vorbereiten, verheißt der Vater, dass alle, die arbeiten, unabhängig davon, wann jeder in den Weinberg gerufen wird, „an Macht und Kraft und Herrschaft gleich“ gemacht werden (LuB 76:95). Der Herr ist ein großzügiger Zahlmeister. Er wird gewiss zahlen, „was recht ist“. Er macht keine Unterschiede. Er kennt uns und liebt uns alle gleich.
Wie machen wir uns nun für unseren himmlischen Arbeitgeber attraktiv? Indem wir uns darum bemühen, durch Halten der Gebote, fleißige Arbeit und den Dienst am Nächsten den Willen Gottes zu tun. Fangen wir gleich heute damit an!
Dieser Artikel wurde auf deutsch von Sönke Windhausen verfasst und am 07.11.2018 auf kommzuchristus.de veröffentlicht.
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